Wenn aus Schokoladenpudding ein Heißgetränk wird

Als Technischer Redakteur ist es oft ein Glücksfall, wenn man den sogenannten User dabei beobachten kann, wenn dieser eine Bedienungsanleitung in die Hand nimmt. Dabei kann man miterleben, dass das Ergebnis nach dem Gebrauch einer Bedienungsanleitung oft nicht das gewünschte ist. Das gilt für Puddingrezepte ebenso wie für Bedienungsanleitungen für Fernseher. Das folgende einfache Beispiel zeigt an einem Rezept für einen Schokopudding, woran (auch komplexe) Bedienungsanleitungen scheitern können.

Die Anleitung

Wenn folgendes Rezept abgearbeitet wird, so sollte nach Meinung des Herstellers (bzw. des Verfassers des Rezepts) wohl eine Portion leckerer Schokopudding das Ergebnis sein.

Dr. Oetker Schokoladenpudding

Wenn man aber keinen Schokoladenpudding serviert bekommt, sondern etwas, das eher einem schokoladigem Heißgetränk ähnelt, dann muss irgendetwas schief gelaufen sein. Aber was?

Wenn der Autor das Problem nicht löst …

… dann muss es der Leser tun. Dies gilt insbesondere für Bedienungsanleitungen. Die Chance, dass der Leser das Problem lösen kann, ist jedoch ungleich viel geringer, als die des Autors, der das Produkt kennt.

In diesem Fall hat der Autor offensichtlich ein Problem mit der Größe des Gefäßes, in dem der Pudding zubereitet werden soll. Die Sorge ist groß, dass der zubereitende Pudding nicht in das Gefäß passt. Und möglicherweise befürchtet der Autor, dass der Leser nicht in der Lage ist, ein passenden Gefäß für die Zubereitung auszuwählen.

Daher befassen sich im ersten Handlungsschritt sechs von den insgesamt neun Wörtern mit der Größe des Gefäßes, in dem der Pudding zubereitet werden soll: „… einen mittelgroßen Kaffeebecher (300 ml Inhalt) …“

Auch beim zweiten Handlungsschritt sind dem Gefäß für die Zubereitung sechs von 13 Wörtern gewidmet: „… bis der Becher zu 2/3 gefüllt ist.“

Damit werden sowohl im ersten als auch im zweiten Handlungsschritt ca. die Hälfte der Wörter für die Beschreibung von etwas verwendet, was mit der eigentlichen Zubereitung des Puddings NICHTS zu tun hat.

Die Häufung von Wörtern, die mit der eigentlichen Sache nichts zu tun haben, der Zubereitung des Puddings, trifft fatalerweise auf ein Faktum, das auf praktisch alle Bedienungsanleitungen zutrifft:

Bedienungsanleitungen werden nicht Wort für Wort gelesen.
Sie werden nach Schlüsselwörtern abgescannt.

Bedienungsanleitungen werden deshalb nicht vollständig gelesen, weil der Leser bereits über ein bestimmtes Wissen verfügt, wie eine Aufgabe auszuführen ist. So wird jemand, der bereits einen Pudding zubereitet hat, den elementaren Arbeitsgang kennen: etwas Flüssiges zum Puddingpulver dazugeben und dann umrühren. Die wichtigste Information, die die Bedienungsanleitung bereit stellen muss, ist, wie viel Flüssiges.

Ungewohntes in gewohnter Umgebung

Beim Abscannen des ersten Handlungsschrittes sind es die 300 ml, von denen man erwartet, dass sie die Flüssigkeitsmenge angeben, die für die Zubereitung benötigt wird. Denn warum sonst wird hier eine Menge angegeben? Dass man an dieser Stelle Informationen darüber erhält, welche Flüssigkeitsmenge das Gefäß aufnehmen können soll, ist äußerst ungewöhnlich und bei Puddingrezepten nicht üblich. Folgt man den Konventionen, wie Rezepte geschrieben sind und bearbeitet werden, ist es fast unumgänglich, dass 300 ml zur Zubereitung des Puddings verwendet werden und nicht nur 150 ml.

Auch Bedienungsanleitungen folgen Konventionen.
Wenn man sich nicht an Konventionen hält, muss es trifftige Gründe dafür geben. Ansonsten kommt es fast zwangsläufig zu Fehlbedienungen.

Hier könnte nun der Einwand erfolgen (und dieser kommt in der Regel vom Autor), dass ja über den Handlungsschritten steht, dass man 150 ml kochendes Wasser verwenden soll. Die Angabe der 150 ml steht dort, wo man bei Rezepten die Zutatenliste erwarten würde. Die Zustantenliste ist als solche kaum zu identifizieren (was dafür sorgt, dass sie wahrscheinlich gar nicht gelesen oder überhaupt gesehen wird) und hervorgehoben wird dort das Wort „kochendes“, nicht die 150 ml. Dass im zweiten Handlungsschritt noch einmal das Wort „aufkochen“ hervorgehoben wird, ist als Hinweis zu werten, dass auch der Autor davon ausgeht, dass die Information aus der vermeindlichen Zutatenliste möglicherweise nicht beim Leser angekommen ist.

Entscheidend jedoch ist, dass im ersten Handlungsschritt, dort wo die Information über die Flüssigkeitsmenge benötigt wird, eine Information angeboten wird, die aussieht, als würde sie das Problem der Flüssigkeitsmenge – das wichtigste Problem beim Pudding – lösen. Aber es ist eine Information für ein Problem, das der Autor hat.

Somit gibt es eben ein Heißgetränk.

Nachtrag

Es geht auch anders. Das folgende Beispiel zeigt ein Puddingrezept, das den Konventionen folgt. Hier kann man davon ausgehen, dass tatsächlich ein Pudding serviert wird.

PS: Beide Rezepte/Bedienungsanleitungen kommen vom gleichen Hersteller. Wie bei großen Unternehmen üblich: jede Abteilung kocht ihren eigenen Pudding.

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